Was Mittelgebirge von anderen Landschaften unterscheidet
Gewöhnlich werden Landschaftsfotografen von spektakulären Naturszenarien magisch angezogen. Island, die Dolomiten, der pazifische Nordwesten oder die Lofoten stehen hoch im Kurs. Regionen, in denen sich viele Bilder beinahe von selbst komponieren. Aber nicht jeder hat eine derart atemberaubende Region direkt vor der Haustür – und selbst für diejenigen, die das Spektakuläre gewohnt sind, könnte dieser Artikel interessant sein. Es geht darum auch dann Motive zu finden, wenn Kompositionen und Spots nicht auf den ersten Moment klar ersichtlich sind. Auf die Landschaftsfotografie im Mittelgebirge möchte ich anhand des Beispiels der Rhön eingehen. In nur fünf Tagen gelangen mir erstaunlich abwechslungsreiche Bilder. Über vier Tage war ich mit einer Workshop-Gruppe unterwegs und dazu kam noch ein Tag Scouting und Vorbereitung. Die Naturfotografie auf der Rhön ist äußerst facettenreich.
Die Rhön liegt in der Mitte Deutschlands im Dreiländereck der Bundesländer Hessen, Bayern und Thüringen und erstreckt sich über 1.500 Quadratkilometer. Mit 950 Metern ist die Wasserkuppe im hessischen Teil der höchste Berg – nicht nur der Rhön, sondern auch von Hessen. Große Gebiete liegen oberhalb von 800 Metern, so dass auf den Hochflächen der Rhön die Vegetation zu den teils 400 Meter tiefer liegenden Talbereichen rundherum große Unterschiede aufweist. Große Teile der Rhön sind aus Vulkangestein aufgebaut, an vielen Stellen tritt das Basaltgestein teils in schöner Prismenform zu Tage. Aufgrund der ausgedehnten Hochlagen unterscheidet sich das Klima Rhön signifikant vom Umland. Im Winter werden mehrere kleine Skigebiete betrieben und im Sommer ist die Rhön ein Freizeitziel für Hitzeflüchter aus den urbanen Räumen wie Frankfurt. Von anderen ähnlich hohen Mittelgebirgen hebt sich die Rhön durch zwei Merkmale ab. Zunächst gibt es in den Hochlagen ausgedehnte Offenflächen und Moore (die Rhön wird auch als “Das Land der offenen Fernen” bezeichnet), zum anderen gibt es einen höheren Anteil an Laubwäldern als z.B. im Taunus oder Thüringer Wald. Historisch wird die Rhön auch als “Buchonia” bezeichnet – was mit den Buchenwäldern der Region in Verbindung gebracht wird. Gerade für Wald- und Baumfotografie ist die Rhön ein spannendes Revier.
Abwechslungsreiche Landschaft:
Sanfte Hügel, weite Wiesen, dichten Wäldern, malerische Bachtäler und einzigartigen geologische Formationen wie markante Basaltfelsen. Die „Feuerberge“ der Rhön sind die Zeugnisse vergangener vulkanischer Aktivität. Die Felsklippen bieten nicht nur gute Aussichten, sondern auch interessante Motive für „intimate landscapes“. Auf den Hochflächen haben sich Moore gebildet, das Rote und Schwarze Moor sind die bekanntesten und können auf Bohlenwegen erkundet werden. Die Moore wiederum speisen zahlreiche Bäche, die sich zunächst durch artenreiche, extensiv genutzte Blumenwiesen schlängeln. Wo die Hochflächen der Rhön in steilen Hängen Richtung Umland abfallen, haben sich Bachtäler tief eingeschnitten. Dort finden sich naturnahe Waldgebiete mit hohem Totholzanteil. Die Bäche springen in kleinen Kaskaden über moosbedeckte Felsen.
Die Rhön präsentiert sich zu jeder Jahreszeit in einer anderen Atmosphäre. Im Frühling blühen die Wiesen und die Natur erwacht zu neuem Leben, im Sommer wechseln sich heitere Tage und Gewitterlagen ab, im Herbst färben sich die Blätter der Laubwälder bunt und im Winter gilt die Rhön als schneesicher und gerade die Wasserkuppe lockt auch Wintersportler an. Die Freiflächen der Hochlagen sind anfällig für Schneeverwehungen, so dass man sich bei Winterstürmen schon mal wie in Sibirien fühlt.
Neben den Naturschönheiten gibt es auch ein reiches kulturelles Erbe zu entdecken. Traditionelle Dörfer, mittelalterliche Wallburgen, historische Gebäude wie Burgen, Schlösser und Kirchen im Umland. Auf den Hochflächen werden noch wie anno dazumal Schafe gehütet. Die Wasserkuppe ist eine der historischen Wiegen des Segelfliegens in Deutschland und zieht nach wie vor viele Segelpiloten aber auch Gleitschirmflieger an.
Die großen Höhenunterschiede zum Umland, aber auch die ausgedehnten Hochflächen führen zu besonderen Wetterphänomenen, welche auch für Fotografen interessant sind. Die Hochlagen ragen im Herbst und Winter häufig über den Inversionsnebel der das Flachland verhüllt hinaus. Teils bilden sich entlang der Kammlinie der langen Rhön auch Nebelfälle, die z.B. von der Wasserkuppe oder der Milseburg gut zu beobachten sind. Manchmal sind auch die Hochlagen in Nebel gehüllt, was für die Waldfotografie von Vorteil ist. Die Lichtverhältnisse und Atmosphäre in der Rhön können je nach Tageszeit und Wetterlage dramatische und faszinierende Stimmungen erzeugen, die perfekt für die Fotografie sind. Von sanften Morgenstunden über goldene Sonnenuntergänge bis hin zu mystischen Nebelschwaden bietet die Rhön eine Vielzahl von Licht- und Wetterbedingungen, die zur Motivgestaltung anregen.
Rhöner Motive
Jetzt möchte ich ein paar Motive vorstellen, wie sie gut auf der Rhön und in ihrem Umland festgehalten werden können. Die Bilder entstanden alle innerhalb von 5 Tagen im Mai 2024.
Sonnenaufgänge an der Hochrhönstraße
Die Hochrhönstraße bietet gute Aussichtsmöglichkeiten gen Osten – ideal zum Sonnenaufgang. Besonders lohnend mit Nebel und Dunst in den Tälern und ein paar Wölkchen am Himmel. Auch wenn sich der Verkehr morgens in Grenzen hält, immer etwaige Fahrzeuge im Blick behalten. Parken ist im Naturschutzgebiet nur auf ausgewiesenen Parkflächen erlaubt.
Ein Hauch von Toskana
Während wir den Sonnenaufgang auf der Hochrhön fotografierten, zeigte sich in den Niederungen schöner Nebel. Grund genug in den Bus zu steigen und dem Nebel “hinterherzufahren”. Bei meinen Erkundungstouren hatte ich eine gewisse Vorstellung erlangt, welche Gebiete sich lohnen könnten und tatsächlich wurden wir mit einer an die Toskana erinnernde Licht- und Nebelstimmung belohnt. Derartige Motive sind nur schwer im Vorfeld zu planen, Ortskundigkeit und eine gewisse Erfahrung sind hilfreich, um spontan spannende Ausblicke zu finden.
Der Eisgraben-Wasserfall
Zu Beginn meiner Fotokarriere lernte ich schnell, dass Größe eine geringe Rolle dabei spielt, ob ein Wasserfall fotogen ist oder nicht. Kleinere Kaskaden mit interessanter Vegetation sind meist spannender als gerade herabstürzende Wasserfälle. Auch auf der Rhön gibt es einige Kaskaden. Der Eisgraben-Wasserfall gehört mit über vier Metern Höhe zu den größeren. Eine Besonderheit ist, dass er sich auf freiem Gelände befindet. Bei schnell durchziehenden Wolken und hohem Wasserstand wird er auch bei Tageslicht zu einem netten Motiv.
Unterwegs im Nebelwald
Bei Hochnebel und niedrigen Wolken geraten die Buchenwälder der Rhön gelegentlich in Nebel. Dann schlägt die Stunde der Waldfotografen. Geheimnisvolle Stimmungen, die schönen Laubbäume und moosbedeckte Basaltfelsen erlauben abwechslungsreiche Kompositionen. Immer wieder finden sich Reste alter Waldbestände, in die früher das Vieh zur Mast eingetrieben wurde. Die alten Hutebuchen fallen mit ihren massiven Stämmen und ausladenden Kronen auf. Gerade diese außergewöhnlichen Baumgestalten stellen tolle Motive dar. Während im Herbst die Laubfärbung für zusätzliche Akzente sorgt, sind es im Frühling Bodenblüher wie der Waldmeister.
Wald ohne Nebel
Aber nicht nur bei Nebel locken die Wälder. Auch bei tiefstehender Sonne lassen sich schöne Aufnahmen machen, wenn einzelne Bäume vom Licht akzentuiert werden. Im Frühjahr hat das Blätterdach hier und da noch Lücken, so dass die Sonnenstrahlen bis ins Waldesinnere reichen. Im flirrenden Licht tanzen Insekten und Grashalme wogen hin und her. Doch die Stimmung verändert sich stetig, erstaunlich schnell wandert die Sonne hinter den Stämmen vorbei. Die von ihr gezeichneten Schatten-Scherenschnitte bleiben nur für ein paar Minuten erhalten, bevor sich in der nächsten Lücke zwischen zwei Bäumen ein neues Lichtspiel ergibt.
Geheimnisvolle Moore
Mit ihren Mooren bietet die Rhön einzigartige Lebensräume. Am bekanntesten sind das Schwarze Moor im bayerischen Teil und das Rote Moor in Hessen. Das Schwarze Moor ist durch Torfabbau deutlich weniger zerstört werden als das Rote Moor – fotografisch interessant sind beide. Durch das bayerische Moor führt ein Bohlenrundweg, aber auch im Roten Moor gibt es einen Bohlenweg. Am Schwarzen Moor gibt ein Aussichtsturm Einblick von oben, entlang des Pfades bilden Sonnentau, Wollgras und die krummen Moorkiefern spannende Motiven. Im Randbereich kommen noch artenreiche Feuchtwiesen und Moorwälder mit Birkenbeständen hinzu. Auch eine sogenannte Schlenke kann bewundert werden – eine von Natur aus offene Wasserfläche mit fast schwarzem Moorwasser. In diesem dunklen Moorauge spiegelt sich der Himmel und die umliegende typische Vegetation. Ein bisschen fühlt man sich an die Tundra erinnert. Das Rote Moor dagegen weist einen ausgedehnten Karpatenbirkenbestand auf und einen kleinen See der durch künstliche Anstauung entstanden ist.
Höhepunkte rund um die Wasserkuppe
Mit 950 Metern ist die Wasserkuppe der höchste Punkt der Rhön. Schon von weitem ist die Radarkuppel auf dem Gipfel zu erkennen. Das Gipfelgelände ist bequem per Auto zu erreichen, entsprechend beliebt ist das Umfeld des Berges. Für Segelflieger und Gleitschirmflieger ist die Wasserkuppe ein wahres Mekka. Aber sobald man sich zwischen etlichen Gebäuden – Hotels, Sporteinrichtungen, Wetterstation etc. – zum Gipfel durchgekämpft hat, beginnt die grüne Seite des Berges. Ausgedehnte Wiesenhänge erlauben außer nach Osten weite Blicke in alle Himmelsrichtungen. Die Kuppenlandschaft der Rhön, Blumenwiesen, Aussichtspunkte und Baumsolitäre bietet abwechslungsreiche Motive.
Fazit Landschaftsfotografie im Mittelgebirge
Mir macht Landschaftsfotografie wegen des Abwechslungsreichtums großen Spaß. Im Gebirge und an anderen spektakulären Locations werden oft Orte fotografiert, die sich von den natürlichen Gegebenheiten her “selbst komponieren”. Wie zum Beispiel auf der Seiseralm. Im Mittelgebirge kommen viele Orte erst bei speziellen Licht- und Wetterbedingungen zur Geltung. Fast immer finden sich am Ende einer Sonnenaufgangstour interessante, ungeplante Bilder auf der Speicherkarte. Aufgrund meines Geographie-Backgrounds, aber vor allem meiner riesigen Locationdatenbank mit weit über 12.000 Einträgen, kann ich in ganz Deutschland, aber auch in Teilen der Nachbarländer und in den Ostalpen spontan auf gute Gelegenheiten reagieren. So bin ich stets bemüht Workshopgruppen an die Stellen mit der besten Atmosphäre zu führen. Meine Workshops sind immer auch Entdeckungstouren mit Lerneffekt und nicht nur das Abklappern von sogenannten “bucket-lists”. Mein Credo lautet, dass überall tolle Bilder gemacht werden können – daher kann ich mich auch für alle Landschaften begeistern, von unscheinbar bis spektakulär. Jede erzählt ihre eigenen Geschichten und mich macht es glücklich, diese zusammen mit meinen Teilnehmerinnen und Teilnehmern mit der Kamera festzuhalten. Aktuelle Workshops in Mittelgebirgsregionen aber auch an anderen tollen Orten findet ihr in der Workshop Sektion meiner Webseite.