Whale-Watching einmal anders

Einen lebenden Wal aus nächster Nähe zu sehen muss ein sehr eindrucksvolles Erlebnis sein. Das glückte mir in Island aber nur aus großer Ferne. Dafür wurde unsere Exkursionsgruppe mit dem Fang von Walen und der Verarbeitung dieser Meeressäuger konfrontiert. Denn eine der Exkursions-Stationen war die Walfleischfabrik in der Hvalfjördur-Bucht, siebzig Kilometer nördlich der isländischen Hauptstadt Reykjavik. Die Fotos in diesem Eintrag stammen vom Geographenkollegen Alexander Reif der durch seine längere Brennweite (432mm KB äquuivalent) näher am Geschehen war als ich. Vielen Dank für das zur Verfügung stellen der Bilder.

#1 Panoramaansicht der Fabrik Hvalfjördur mit Fangschiffen

Ein blutiges Handwerk

Die Walfangsaison war noch in vollem Gange. Der aus den Schloten der Fabrik aufsteigende Dampf kündete schon von weitem von den Aktivitäten der Walfänger – zwei Finnwale waren die Tagesausbeute an diesem Fangtag. Innerhalb von rund 30 Stunden müssen die Wale nach der Harpunierung geschlachtet werden. Als wir uns dem Gelände der Fabrik näherten, war das eine Exemplar bereits weitgehend zerlegt und der Kadaver des Zweiten lag mit aufgerissener Bauchhöhle an einer ins Meer führenden Betonrampe. Ein trauriges Bild dieser riesigen Säugetiere. Finnwale sind mit einer Länge von bis zu 25m die zweitgrößten Tiere der Erde. Die Verarbeitung erscheint barbarisch und archaisch.  Durch die Größe der Beute findet die Hauptverarbeitung unter freiem Himmel unter Einsatz von Haken, Spateln und riesigen Sägen statt. Das Ganze ist aber im Endeffekt Handwerk und gleicht nicht der industrialisierten Massenabschlachtung mitteleuropäischer Großschlachthöfe. Vielleicht berührt es daher den Betrachter auch mehr, da der Tod noch greifbar wird und nicht zu einer annonymisierten Produktkette von der wir nichts wissen wollen, solang das Fleisch fertig abgepackt im Supermarkt liegt.

Die Umweltschutzorganisation WWF schätzt, das es ca. noch 40.000 Exemplare weltweit gibt. Island ist eines der Länder denen von der Internationalen Walfangkommission (IWC) eine begrenzte Fangquote zugestanden wird. In der Saison 2010 wurden in Island je 200 Finn- und Zwergwale zum Abschuss freigegeben. 2009 tötete Island 81 Zwerg- und 126 Finnwale. Trotz des seit 1986 geltenden Walfangverbots werden laut WWF weltweit bis zu 2000 Großwale pro Jahr erlegt.

#2 Finnwal Kadaver bereit zum Anlanden
#3 Reinigung mit Gartenschlauch
#4 Abziehen der Haut
#5 Mensch und Haut

Schlachten für den Export

Die getöteten Tiere werden in der einzigen isländischen Walfleischfabrik am Hvalfjördur weiterverarbeitet. Island mit seinen wenigen Einwohnern kommt auf eine jährliche Verzehrrate von 5-15 Tonnen Fleisch. Ein einziger Wal allein bringt schon bis zu 10 Tonnen Fleischertrag. Sprich ca. 98% des Fleisches ist Exportgut. Hauptabnahmeziel ist vor allem Japan. Walsushi für die Schleckermäulchen. Andere Walfangnationen sind die Faröer Inseln, Norwegen,  Japan und einige traditionell jagende indigene Völker in Grönland, Nordamerika und Russland.

 
#6 & #7 Knochenüberreste nach der Verarbeitung

Walfangtradition auf Island

Die mitteleuropäische Sicht auf den Walfang im 21. Jahrhundert ist oft von tiefer Schockiertheit geprägt. Doch in Island – und in Norwegen – hat der Walfang nicht nur eine ökonomische Bedeutung. In Island hat diese Art der Jagd eine lange Tradition und eine tiefe gesellschaftliche Verwurzelung. Insbesondere in den Krisenzeiten des Mittelalters war Walfleisch eine Möglichkeit dem Hungertod zu entkommen. Ursprünglich wurde nicht aktiv gejagt, sondern an Stränden angeschwemmte Tiere erlegt. Im Jahre 1281 wird erstmals der Walfang mit der Harpune in einem isländischen Gesetzbuch beschrieben. Erst mit der gesamteuropäischen Bevölkerungszunahme im 19 Jahrhundert setzte sich das Töten der Wale im kommerziellen Stil durch. Der Walfang ist also auch ein Mittel des Protests und der Identifikation gegenüber internationalen Druck von außen. Ein wenig nachvollziehbar, wenn man sich in die Perspektive der kleinen aber stolzen isländischen Nation versetzt. So findet der Walfang auch eine breite Zustimmung in der isländischen Bevölkerung: Ca. 75% votieren pro Walfang.

#8 Handarbeit
#9 Säge zum Trennen der Wirbel
#10 Kieferknochen eines Finnwals

Kommerzieller Walfang im 20. Jahrhundert

Die Ausbeutung der isländischen Meere erfolgte zunächst durch ausländische Flotten. Nachdem die festlandnahen Gewässer rund um Skandinavien ausgebeutet waren, setzte die effiziente norwegische Walfangflotte ihre Jagd vor Island fort. Auch Deutschland und Frankreich war zeitlich befristet mit eigenen Fangflotten am Geschäft beteiligt. Um 1900 wurden durch die norwegischen Walfänger ca. 1300 Exemplare pro Saison in den Westfjorden getötet. Vorübergehend gab es von 1915-25 vor Island ein Walfangsverbot zum Bestandsschutz. Auch während des Zweiten Weltkriegs wurde der Fang eingestellt, da die Handelsbeziehungen zum Hauptabnehmer für Walöl – dem Deutschen Reich – unterbrochen waren. 1947 wurde dann die Walfangstation Midsandur in Hvalfjördur erbaut, um 1948 den kommerziellen Walfang wieder aufzunehmen. Jährlich wurden so in der Fangsaison von Mai bis September 350-450 Wale harpuniert und zerlegt. An der Weiterverarbeitung waren 200 Menschen beteiligt. Der Walfang trug damals mit 1,5% zum isländischen Exporterlös bei. 1985 trat dann ein Verbot des kommerziellen Walfangs in Kraft. Denooch wurden 120 Groß- und 80 Kleinwale jährlich zu „wissenschaftlichen“ Zwecken getötet und als Delikatesse nach Japan exportiert. Dies führte zu aggressiven Konflikten mit Umweltschützern. So wurden 1986 im Hafen von Reykjavik zwei Walfangschiffe versenkt und auch die Walfangstation in Hvalfjördur verwüstet. Erst 1988 wurde der Fang nach internationalen Handelsboykotten eingestellt.

Walfang heute und morgen?

1992 wurde das NAMMCO von Island, Norwege, Grönland und den Faröern gegründet, das „North Atlantic Marine Mammal Committee“, mit dem Ziel, die nordatlantischen Walbestände zu erhalten. Seit 2003 wurde wieder begonnen in Island Wale zu fangen. Heute wird vom marinen Forschungsinstitut von Island empfohlen jährlich 250 Zwergwale und 100 Finnwale pro Saison zu töten um eine Bestandsgefährdung zu vermeiden. Die Zukunft des Walfangs ist ungewiss. Doch in den letzten Jahren hat eine umweltverträgliche kommerzielle Nutzung von Walen immer weiter zugenommen: Whale-Watching-Touren für Touristen. Der Umsatz beträgt ca. 9 Mio. US $ pro Jahr – lukrativer als es der Walfang für die isländische Walfangflotte jemals gewesen war.

0 thoughts on “Reportage Island: Wale – Geschlachtete Riesen

  1. Chris sagt:

    Interessanter Bericht. Woher wusstet ihr, wann Wale angelandet werden?

  2. kilian1 sagt:

    Das war Zufall… also Glück gehabt – weil in einer gewissen Art und Weise schon ergreifend. Man wird schon mit seiner Ernährung und der Mensch-Natur-Komponente konfrontiert.

  3. Julchen sagt:

    …naja, also ich finde es ehrlich gesagt schon ziemlich verharmlosend, von „Mensch-Natur-Komponente“ zu sprechen, anstatt das zu sagen, was es ist: Unerträgliche Ignoranz gegenüber Tier und Natur und ein schleichender Ausrottungsprozess von Lebewesen, die schon sehr viel länger als wir die Erde bevölkern!
    Wir sind gerade von einem Islandurlaub zurückgekehrt und haben sehr viel Geld für Whalewatchings etc. bezahlt. Grund unserer Islandreise war – wie bei vielen Bekannten und Freunden auch – insbesondere dieses Erlebnis. Da finde ich es schon ziemlich doppelmoralig, wenn ein Land einerseits viel Geld von solchen Touristen einnimmt, die die Wale sehen sollen, diese dann aber anderseits immer noch abschlachtet. Wir jedenfalls haben immer und überall – gemeinsam mit anderen Touristen – sehr klar und deutlich unsere Meinung kundgetan und Lokale boykottiert, die Walfleisch anboten. Frei nach dem Motto: Tu den Mund auf für die Stummen und führe die Sache derer, die wehrlos sind!

    1. kilian1 sagt:

      Also ich persönlich finde den Walfang in Island ehrlicher als die Fleischverarbeitung in den westlichen Industrieländern. Natürlich sind bestimmte Arten der Wale bedroht (vermutlich mehr von Schleppnetzen und Umweltverschmutzung als vom isländischen Walfang an sich) aber die Arten die für die Fleischverwertung in Island gefangen werden sind jetzt nicht unbedingt vom Aussterben bedroht. Mit Walen lässt sich gut Publicity erreichen – was nicht zuletzt die Tierschutzorganisationen für sich instrumentalisieren. Natürlich sind Wale nach menschlichen Gesichtspunkten „intelligenter“ als andere Tierarten und zeigen ein ausgeprägtes Sozialverhalten. Wir selbst kommen aus einem Land, in dem jeden Tag hundertausende Tiere industriell, ohne artgerechte Haltung, vollgestopft mit Hormonen und Antibiotika geschlachtet werden und dann schön sauber zerlegt für die dumpfe Durchschnittsmasse auf annonyme Fleischtheken der üblichen verdächtigen Supermarktketten verteilt werden. Sind diese Tiere weniger wert als Wale? Vielleicht deshalb, weil sie in Massen gehalten werden und weil man durch die schöne Kunststoffverpackung den Bezug zum Lebewesen verloren hat?
      Der Walfang wird in Island handwerklich betrieben – nicht im Rahmen einer Massenabschlachtung wie die Fleischverwertung bei uns. Die natürliche Regeneration der Bestände der betroffenen Arten sollte gewährleistet sein. Außerdem hat der Walfang an sich einen sehr stark kulturelle Identität stiftenden Stellenwert in der isländischen Gesellschaft. Es ist eine lange und nicht ungefährliche Tradition. Man ist dort stolz auf nationale Traditionen und auch stets bereit diese gegenüber kontinentaleuropäische Fremdeinmischung zu verteidigen. Mit unseren Werten – die in einer medial konstruierten Realität geboren werden – dort über richtig und falsch zu entscheiden steht uns nicht zu. Auch nicht angesichts der Tatsache, dass die großen Walfangflotten – die wirklich die Meere geplündert haben zu Beginn des letzten Jahrhunderts – auch unter deutscher Flagge ausliefen… Vermutlich ist der moderne Mensch vom Walfang so schockiert, weil er darin erkennt, was für ein blutiges Schauspiel das eigentliche Vorspiel der zivilisiert-abgepackten Fleischhäppchen aus dem Kühlregal ist… egal bei welchem Tier…

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