Von der Subjektivität der Geschmäcker

Hier möchten auch wir wohnen!„. Oft findet man im Musikerviertel und in der Bonner Südstadt an Laternen und Straßenschildern Flugblätter von Bonner Neubürgern die in diese begehrten Viertel ziehen wollen. Gründerzeitarchitektur, hohe Räume, Erker und französische Balkone. Das klingt alles verlockend. Zum stilechten Wohnen kommen Kronleuchter, historisierende Möbel und dekorative Jugendstilelemente hinzu.  Es wird gesagt, dass die Südstadt und angrenzende Bezirke das größte erhaltene gründerzeitliche Wohnviertel in Deutschland ist. Aber ist die Südstadt wirklich „schön“? Oder gar architektonisch wertvoll? Wenn man den Stilmix der Verzierungen betrachtet, welche die Gebäude dieser Zeit  bedeckt, dann wird einem ganz schwindelig ob vielen Einflüsse. Antike, Barock und Gotik werden bunt durcheinander geworfen.  Der Bürger am Ende des 19. Jahrhunderts scheint ein architektonischer Allesfresser zu sein und lebt diese Vorliebe an seinen Fassaden aus. Ist der Stilmix des Historismus jener Zeit also ein Vorläufer zu dem, was unser Alltagsleben heute ausmacht? Unsere Generation sind die der kulturellen Allesfresser, welche von der Populärkultur bis hin zur Hochkultur alles mitnimmt.

Eine gewagte These. Aber wieso auch nicht? Denn wenn man sich einmal die zeitlichen Umstände der Entstehung der Gründerzeitarchitektur anschaut, möchte man meinen, dass die Menschen damals auch in einer Seifenblase der unbegrenzten Möglichkeiten taumelten. Der „Aufstieg“ des Deutschen Kaiserreichs ging einher mit der Emanzipation des Bürgertums. Und diesen Stolz wollte man zeigen und griff daher zurück auf glorreiche Elemente der Geschichte und klebte sie mit Gips an die eigene Fassade. Nach dem Motto: Nicht kleckern, sondern klotzen.Der Zuckerbäckerstil macht diese Häuser zu Konservendosen der Architekturgeschichte.

Nun stellt sich die Frage, warum dieser Stil heute wieder als attraktiv gilt. Pickelhauben trägt ja auch (fast) keiner mehr. Vielleicht weil wir uns eben in diesem Schmelztiegel der Verzierungen heute selbst wieder finden. Früher war es die Hauswand, die als Stilsammelsurium endete, heute ist der Mensch selbst die plakative Fläche, auf welche unterschiedlichste Trends, Hypes und Moden einprasseln. Und so wie man damals einen neuen Stiltrend per Stuck einfach zusätzlich ans Haus setzte, so gibt uns die Konsumwelt heute die Gelegenheit uns unsere Topaktualtiät  am eigenen Körper zu erkaufen. Markenkleidung, Smartphones und der neueste Haarschnitt sind Pflicht. Wobei die Crux dabei ist, dass diese „Topaktualität“ oft heißt in vergangenen Epochen zu wildern und Vergangenes wieder aufzuwärmen. Das Schaffen von Eigenständigkeit in einem neuen ästhetischen Stil, die progressive Entwicklung die Altes ab- und auflöst, wird damit unterbunden. Alles wird konserviert. Wir füllen unser Leben aus den Konservendosen der 80er, 70er und anderer Jahrzehnte und wohnen gleichzeitig in den Konservendosen der Architekturgeschichte und essen Bio. Was? Irgendwo ein Widerspruch. Gestern ist also Heute modern und Morgen ist ein anderes Gestern. Das Leben ist eine Hipstomatic-App!

Jedoch gab es bereits nach beiden Weltkriegen Phasen, in denen der Historismus und seine Bausubstanz nicht besonders gewertschätzt wurde. Vielleicht kommt ja der Antitrend mit der Kehrtwende zum harten Beton der Brutalismus. Der Rückgriff auf ältere Stile wurde damals als zu geringe architektonische Eigenständigkeit gewertet. Die Bauhaus Architektur war die gefühlt richtige Antwort auf die bürgerlich-spießigen Gründerzeitviertel. Doch zu diesem Zeitpunkt war es auch schon um das generelle Durchsetzen eines Stils geschehen. Man baute alles wie und wo man wollte. Vor allem schnell und günstig. Neue Materialien wie Beton oder Glas sorgten für Innovationen in der Architektur.  Die ersten Betonbunker der Nachkriegszeit sind heute noch als hässlich verschrien, aber morgen vielleicht schon das neue Trendwohnen. Eine gesamtheitliche Stilrichtung die sich auf breiter Basis durchsetzt bleibt im Rahmen der diversifizierten Gesellschaft vermutlich bis auf weiteres eine Utopie.

Daher wandert der Blick auf das, was heute noch aus vergangenen Epochen erhalten ist. Man sagte mir, Bonn sei  wegen seiner unterschiedlichen Baussubstanz ein sehr begehrter Drehort für Fernsehsendungen, da sich für alle Szenen Kulissen finden lassen würden. Die folgenden Bilder können diesen Eindruck vermutlich untermauern. Das fehlende Blattgrün des frühen Jahres gibt manch unerwarteten Blick frei. Noch dominiert die Kahlheit des Winters, nur im botanischen Garten zeigen sich bereits erste Frühlingsboten.

#00 - Opel Kadett
#01 - Poppelsdorfer Schloss
#02 - Uni Hauptgebäude
#03 - Bunes Glas Viktoriabad
#04 - Fassade Südstadt
#05 - Fassade Südstadt
#06 - Frühling im Botanischen Garten
#07 - Am Poppelsdorfer Weiher
#08 - Teppichladen aus den 70ern
#09 - Neubau am Busbahnhof

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