Saison für die osteuropäische Invasion

Pfifferlinge scheinen eines der letzten echten Saisonprodukte zu sein. Das Geringschätzigkeit ausdrückende Sprichwort „keinen Pfifferling wert sein“ ist schon länger nicht mehr gültig. Seit ein paar Jahren sind die kleinen gelben Pilze scheinbar hochaktuell auf den Speisekarten von Gasthöfen und Restaurants. Für einheimische Waldpilze werden hohe Preise gezahlt. Pfifferlingswochen überall. Pfiffiges vom Pfifferling. Waldpilzespezial. Ein Männlein steht im Walde usw. etc. Vor ein paar Tagen fand ich an einem Kiosk ein modern aufgemachtes Magazin über das Pilze sammeln. Sind wir schon mitten drin im Pffiferlingshype?

Nachdem der inzwischen das ganze Jahr allgegenwärtige und -verfügbare Spargel als Saisongemüse nicht mehr so richtig zieht und daher seiner Exklusivität längst beraubt wurde, müssen also neue Naturprodukte für Events in der Gastronomie sorgen. Der Pfifferling macht dabei eine gute Figur: Das Gold der Wälder mit dem erhabenen Namen und dem würzigen Geschmack. Die Rezepte mit Pfifferlingen sind vielfältig… im Grunde eine gute Idee diese Pilzwochen.

Aber doch komme ich hierbei ins Grübeln. Von Generation zu Generation werden hier in der Oberpfalz die geheimen Sammelplätze der jeweiligen Familien weitergegeben. Es sind hervorragende Pilzgründe, man munkelt dass die Feinkoststände des Münchener Viktualienmarktes exklusiv von Schwammerlsammlern aus der Oberpfalz, insbesondere aus den Tälern der Naab und ihrer Nebenflüsse bedient werden. Nur im angrenzenden böhmischen Wald und in Norwegen habe ich eine ähnliche Pilzergiebigkeit wie hier wieder gefunden. Nun kann man fallenden Stern Spargel auf Feldern anbauen – Pilze dagegen nicht. „Eierschwammerla“ wie sie hier (und auch in Österreich und der Schweiz) heißen, wachsen unkontrollierbar nach dem Menschen verborgenen Gesetzen. Nach Jahren des Sammelns stellt sich aber ein gewisser „Schwammerlblick“ ein, mit dem man schon aus größerer Distanz erfolgversprechende Fundorte erkennt. 2011 ist – was Pfifferlinge angeht – bei weitem noch kein herausragendes Pilzjahr. Da fragt man sich schon, woher all die Pfifferlinge für die obligatorischen Pfifferlingswochen kommen.

Stilvoll Speisen als Ausstieg aus dem Atomausstieg

Die Erklärung ist einfach: Aus Osteuropa. Zunehmend werden auch aus dem östlichsten Osteuropa (Ukraine, Weißrussland) Pilze in das westlichere Osteuropa transportiert (Polen, Tschechien, die baltischen Staaten), dort umedikettiert und dann weiterverkauft. Denn die Pilze aus Weißrussland und der Ukraine würden die Erinnerung an eine Katastrophe zurückrufen, die nach menschlichem Zeitempfinden schon verjährt ist: Tschernobyl. Aber Strahlung schert sich nichts um menschliches Zeitempfinden und so kommen immer wieder Pilze auf den Markt, die ein Gesundheitsrisiko bergen. Im letzten Jahr erschien folgender Artikel in der Regionalzeitung „Der Neue Tag„.

Pfifferlinge aus Osteuropa oft radioaktiv verseucht

Warnung vor Importen aus Tschernobyl-Region

Das Umweltinstitut München hat bei einer Stichprobe im Münchner Handel erneut radioaktiv belastete Pilze entdeckt. Wie das Institut mitteilte, konnte es bei Pfifferlingen 1000 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm nachweisen. Der EU-Grenzwert liegt bei 600 Becquerel. „Der Anstieg der Cäsium-Belastung bei osteuropäischen Pfifferlingen in den letzten Jahren ist auffallend“, sagte Karin Wurzbacher, Physikerin am Umweltinstitut München. Vorstand Christina Hacker befürchtet, dass verseuchte Pilze europaweit im Umlauf sind. Laut dem Institut werden Pilze aus den seit Tschernobyl verseuchten Regionen in Weißrussland, Russland oder der Ukraine in unverdächtige osteuropäische Länder wie Litauen transportiert. Mit der neuen Herkunftsbezeichnung gelangen sie in den Handel. Zudem sollen Pilze aus kontaminierten sowie aus geringer belasteten Gebieten gemischt worden sein.

Jetzt ist es natürlich schwer herauszufinden, ob die Pilze welche sich in einem Restaurant auf der Speisekarte finden lassen, einheimisch sind, aus ostmitteleuropäischen Ländern stammen oder aus den noch höher belasteten östlicheren Regionen stammen. Frische Waldpilze kann eben auch heißen, dass der Wald auch eben mal 3000km entfernt steht. Nachfragen hilft weiter. Nicht nur aus gesundheitlichen Gründen sondern auch daher, dass die Pilze die mit LKW Ladungen zu uns herangekarrt werden oft nicht mehr wirklich frisch sind. Die Stapel von kleinen Holzkörbchen mit traurigen fahlgelben Pfifferlingsgestalten finden sich derzeit auch in den Supermarktketten. Guten Appetit.

Der bessere Weg ist selbst in die Wälder zu ziehen. Als Motto gilt hierbei: Je weiter entfernt von potentiellen Parkplätzen und je dichter Fichtendickicht desto größer die Chance auf Erfolg. Hotspots sind meiner Erfahrung nach feuchte, eng stehende Fichtenmonokulturen an abhängen zu Flüssen. Auch Wälder die gemischt aus Birke, Kiefer und Fichte bestehen mit einem Unterwuchs von Blaubeeren sind oft Erfolggaranten. Manchmal lohnt es sich auch, einfach an Wegböschungen die Augen offen zu halten. Die kleinen gelben Hüte leuchten einem öfter entgegen als man vermutet. Eine gesundheitlich wirklich ernstzunehmende Verwechslungsgefahr gibt es bei Pfifferlingen nicht. Man erkennt die echten Pfifferlinge am festen Fleisch, an den Leisten unter ihrem Hut die fließend in den Stil übergehen und am charakteristischen Geruch. Mit ein wenig Übung unterscheidet man sie leicht von Semmelstoppelpilz (kleine Spitzen statt Leisten unter dem Hut) und falscher Pfifferling (dünner, weicher, eher Lamellen als Leisten). An Ausrüstung braucht man nicht viel – Gummistiefel, lange Kleidung und ein kleines Messer samt Eimer oder Körbchen (bitte keine Plastiktüten) reichen aus. Die Pilze dreht man entweder heraus oder man schneidet sie bodennah ab. Neben Pfifferlingen sammelt man in meiner Familie noch Steinpilze, Rotkappen und bedingt junge Birkenpilze und Maronen. Auf Oberpfälzisch würde man sagen:

„Hait gemma in d Schwammerla. Mia wern Oiaschwammarla, Stoibülzln, Roudkappn und viellaicht a boor junge Birknbülz und Maronen zamma dou.“

Warum es die anderen genannten Pilze nicht zu einem derartigem Saisontrend geschafft haben, kann ich mir noch nicht so ganz erschließen. Vielleicht sind sie nicht so haltbar für den langen LKW-Transport… Ein leckeres und schnelles Pilzgericht ist übrigens Rührei mit selbstgesammelten Waldpilzen. Der Duft frischer in einer Pfanne mit Butter vor sich hinschmorender Pfifferlinge ist ein Gedicht! Also Eigeninitiative ergreifen und raus ins Unterholz. Wenn man Glück hat trifft man auch auf andere Waldkobolde wie den Steinkauz…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert